Saint-Nazaire: Geschichte, Krieg und kulturelle Metamorphose

Das wohl bekannteste Saint-Nazaire – in Frankreich tragen insgesamt 13 Gemeinden diesen Namen – liegt an der Mündung der Loire. Dieser günstige Standort verhalf der Stadt zu einer bemerkenswerten Entwicklung. Mitte des 19. Jahrhunderts war es nur ein Fischerdorf mit 3.000 Einwohnern, heute leben hier ca. 75.000 Menschen.
Die Anfänge der Gemeinde gehen bis in die Zeit des Römischen Reiches zurück. Wiederaufbauarbeiten nach dem 2. Weltkrieg brachten die Überreste eines gallorömischen Dorfes ans Licht. Historiker gehen davon aus, dass Saint-Nazaire nichts anderes ist als das ehemalige Corbilo, ein wichtiger gallorömischer Hafen. Dieser Zugang zum Meer hatte einen Vorläufer in der Steinzeit, belegt durch den Tumulus von Dissignac aus der Zeit ca. 4.500 v. Chr. In der Stadt lassen sich noch heute neolithische Überreste sehen, wie etwa einen vier Meter hohen Menhir auf dem Square du Dolmen.

Nur einen Steinwurf entfernt von diesen Zeugen der Vergangenheit befindet sich das, was Saint-Nazaire heute ausmacht: der Hafen. Der Hafen ist dabei sehr industriell, ein pittoreskes Hafenbecken, eingerahmt von mittelalterlichen Häusern, suchen Besucher hier vergebens. Die berühmten Werftanlagen der „Chantiers de l’Atlantique“ prägen das Bild. Hier entstanden im 19. und 20. Jahrhundert ikonische Ozeandampfer wie die „Normandie“ und die „France“, und noch in unseren Tagen gehören die Schiffbau-Anlagen zu den wichtigsten in ganz Frankreich.

Die Bunker von Saint-Nazaire

Die Lage sollte Saint-Nazaire nach Jahrhunderten des Wachsens und Gedeihens der Stadt aber zum Verhängnis werden. Während des Zweiten Weltkriegs machte die Wehrmacht Saint-Nazaire zu einem wichtigen Teil ihrer Atlantikverteidigungslinie und errichtete dort eine riesige U-Boot-Basis. Der U-Boot-Bunker von Saint-Nazaire wurde in nur 16 Monaten, von Februar 1941 bis Juni 1942, gebaut und besteht aus 480.000 Kubikmetern Beton. Mit einer Länge von 301 Metern, einer Breite von 130 Metern und einem bis zu 9,60 Meter dicken Dach bot er in 14 Boxen Platz für bis zu 20 U-Boote, darunter Trockendocks und Nassdocks. Die Anlage verfügte zudem über umfassende Infrastruktur wie Büros, Werkstätten, Küchen und eine Krankenstation, um die Bedürfnisse der Besatzungen zu erfüllen.

In der Nacht vom 27. auf den 28. März 1942 gelang es einem anglo-kanadischen Kommando von 611 Männern, in den Hafen einzudringen und die militärischen Anlagen massiv zu beschädigen. Während dieser und anderer Angriffe (insgesamt wurde Saint-Nazaire etwa 50 Mal bombardiert) wurde die Stadt zu 90 % zerstört.

Nach dem Krieg erwies sich der Abriss des massiven Bunkers als unwirtschaftlich. Heute ist der U-Boot-Bunker in das Stadtbild von Saint-Nazaire integriert und dient kulturellen und touristischen Zwecken. Besucher können durch die ehemaligen U-Boot-Boxen spazieren und vom Dach aus einen ungewöhnlichen Blick auf die Stadt und den Hafen genießen. Zudem beherbergt der Bunker Museen wie das Escal’Atlantic, das die Geschichte der transatlantischen Schifffahrt beleuchtet, und das französische U-Boot Espadon, das als Museumsschiff dient. Die Bunkeranlagen von Saint-Nazaire sind somit ein eindrucksvolles Zeugnis der Geschichte und ein Beispiel für die Umnutzung militärischer Infrastruktur zu friedlichen Zwecken.

Trotz dieser Bemühungen hat die Stadt nicht den Charme anderer Orte in der Umgebung. Architektonischer Reichtum ist eher im ca. eine Autostunde entfernten Nantes zu finden, Erholung am Meer im nahe gelegenen La Baule-Escoublac.

Künstler und Kunst in Saint-Nazaire

Saint-Nazaire hat in seiner langen Geschichte Künstler angezogen und inspiriert. Zu den bekanntesten Künstlern mit engem Bezug zu Saint-Nazaire gehört der Maler René-Yves Creston (1898–1964), ein Gründungsmitglied der modernen bretonischen Kunst. Der Romanautor François Mallet (1936) und der russisch-amerikanische Schriftsteller Vladimir Nabokov hielten sich ebenfalls in der Stadt auf. Nabokov schiffte sich 1940 in Saint-Nazaire auf dem Weg in die Vereinigten Staaten ein und erwähnte diese Erfahrung in seiner Autobiografie. Schließlich ließ Hergé, der Schöpfer von Tintin, eines der Abenteuer des Helden, „Die 7 Kristallkugeln“ (1946–47), in Saint-Nazaire beginnen.