Jean-Marie Gustave Le Clézio nimmt uns in „Bretonisches Lied“ mit auf eine Reise. Ziel des Nobelpreisträgers ist die Bretagne, die er als Kind und Jugendlicher gemeinsam mit den Eltern Sommer für Sommer bereist hat und die ihn auch heute noch fasziniert. Daher sind es genau genommen zwei unterschiedliche Versionen der Bretagne. Der Autor teilt mit uns einfühlsame Beobachtungen einer längst untergegangenen Kindheits-Bretagne der Jahre um 1950 und hält als Kontrast Beschreibungen der heutigen Bretagne dagegen.
Die Blicke die der junge Le Clézio und sein heutiges Pendant auf den Nordwesten Frankreichs werfen, sind dabei poetisch und bittersüß. Schwärmerisch erinnert sich der Autor, wie er stundenlang Kartoffelkaefer studiert, er der bretonischen Sprache lauscht oder ihm der intensive Schmierölgeruch einer Fähre nicht aus der Nase geht. Bitterkeit mischt sich den Gesang, wenn die Veränderungen beim Namen genannt werden. Etwa wenn besagte Fähre durch eine riesige Brücke ersetzt wird, die der touristischen Erschliessung des Landes und somit einem in seinen Augen fragwürdigen Fortschritt dienen soll.
Ja, „Bretonisches Lied“ lässt sich als Flucht in eine heile Vergangenheitswelt der eigenen Jugend lesen und, ja, frei von kulturpessimistischen Deutungen der Gegenwart ist der 192 Seiten schmale Band, der neben dem Lied noch die Geschichte „Das Kind und der Krieg“ enthält, nicht. Aber Le Clézio scheint sich über Beides im Klaren zu sein und geht souverän damit um. Am wichtigsten scheint dem Autoren die Sprache und die macht dann auch den größten Reiz des Buches aus. Übersetzer Uli Wittmann ist es gelungen, die Poesie ins Deutsch zu übertragen und uns so einen Lesegenuss zu bescheren, der in der im deutschsprachigen Raum besonderen Gattung „Bretagne Literatur“ einzigartig ist.
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