Einer der seltsamsten Kriminalfälle des letzten Jahrhunderts beschäftigt die Bretonen noch fast hundert Jahre nach den Ereignissen der „Affäre Seznec“. Im Mittelpunkt steht Joseph Marie Guillaume Seznec, ein Sägewerkbesitzer aus Morlaix, der im Jahr 1923 den Holzhändler Pierre Quéméneur ermordet haben soll. So spektakulär machte und macht den Fall eine Reihe von Ungereimtheiten – damals wie heute ein gefundenes Fressen für Öffentlichkeit und Medien.
Die Fakten (soweit bekannt)
Was geschah genau? Am 24. Mai 1923 begibt sich Guillaume Seznec von Morlaix aus in seinem Cadillac auf eine Geschäftsreise mit dem Ziel Paris. In Rennes soll er den aus Landerneau stammenden Pierre Quéméneur treffen. Wie Seznec später behauptet, planten die Männer ein Geschäft mit amerikanischen Autos. Seinen Angaben zufolge wollten die Partner Autos in die Sowjetunion verkaufen, die die US-Armee nach Ende des Weltkrieges in Frankreich zurückgelassen hatte.
Die Anreise gestaltet sich jedoch schwierig. Der Cadillac von Seznec, eine Art Vorführwagen für den Deal, fährt äußerst unzuverlässig über die Straßen der Bretagne. Immer muss Seznec für kleine Reparaturen unterbrechen. Seznec verliert viel Zeit und erreicht Rennes erst 5 Stunden nach dem vereinbarten Treffpunkt. Quéméneur hat unterdessen an seinen Bruder telegrafiert, für einen Notar in Paris 60.000 Francs anzuweisen.
Am Freitag, den 25. Mai 1923, brechen Quéméneur und Seznec um fünf Uhr morgens vom Hotel in Rennes auf. Wieder zwingen sie Pannen des Cadillac zu häufigen Stops. Um den Termin nicht zu verpassen, hätte Quéméneur beschlossen, die Hauptstadt mit dem Zug zu erreichen, berichtet Seznec später. In Houdan oder Dreux – beide Orte liegen kurz vor Paris – habe er den Holzhändler abgesetzt, sagt Seznec vage aus.
Seznec fährt zurück und kommt am 27. Mai wieder in Morlaix an. Quéméneur, der seiner Familie seine Rückkehr für den 28. Mai angekündigt hatte, verschwindet hingegen spurlos.
Prozess und Strafe
Am 13. Juni trifft ein von Quéméneur in Auftrag gegebenes Telegramm aus Le Havre ein, in dem er seiner Familie versichert, dass alles in Ordnung sei. Die Angehörigen sind jedoch misstrauisch und melden den Holzhändler am 16. Juni als vermisst. Am 20. Juni taucht in Le Havre ein Koffer mit Utensilien von Quéméneur. Neben blutbefleckten Kleidungsstücken und einem Notizbuch enthält der Koffer auch eine Vereinbarung, nach der Quéméneur Seznec ein Grundstück zu einem ungewöhnlich günstigen Preis überlässt.
Jetzt gerät Seznec ins Visier der Ermittler. Er beteuert seine Unschuld, auch als er mit der Tatsache konfrontiert wird, dass er am 12. und 13. Juni nicht in der Bretagne war und somit das fragwürdige Telegramm hätte aufgeben können. Auf dieses Telegramm stützt sich die Anklage hauptsächlich und am 24. Oktober 1924 beginnt unter großem Andrang Schaulustiger die Verhandlung in Quimper.
Das Gericht hört fast 150 Zeugen und Experten, folgt dem Antrag des Staatsanwaltes auf Todesstrafe jedoch nicht. Guillaume Seznec wird am 10. November zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt. Bis er 1947 von einer Amnestie profitiert, verbüßt er seine Strafe auf Inseln in Französisch-Guayana – ähnlich wie Henri Charrière, der in „Papillon“ von den menschenunwürdigen Umständen dieser Haft berichtet. Seznec kehrt nach Paris zurück, wo er 1953 an den Folgen eines Autounfalls verstirbt.
Nach Seznec
Seznec behauptete zeit seines Lebens, unschuldig zu sein. Er sah sich als Opfer von Justizirrtümern und Verschwörungen, bezeichnete die belastenden Dokumente als Fälschungen. Ein erstes Gesuch zur Wiederaufnahme des Falles scheiterte bereits ein Jahr nach seiner Verurteilung. 2005 zogen seine Enkel erneut vor Gericht. Unterdessen war bekannt geworden, dass einer der Ermittler im Fall Seznec / Quéméneur während des 2. Weltkrieges für die Gestapo spitzelte. Auch dieser Versuch schlug fehl.
Und heute? Seznec ist zur Legende geworden. Zahllose Bücher sind erschienen, der Plot diente als Vorlage für Songs, Dokus und Spielfilme. Das ehemalige Haus der Familie Seznec in der Rue de Brest in Morlaix steht immer noch leer und die Nachfahren sind immer noch von seiner Unschuld überzeugt. Erst im Frühjahr 2018 suchten die Enkel von Guillaume Seznec erneut nach den Überresten von Pierre Quéméneur, dessen Leiche nie aufgetaucht war. Gefunden wurden bei den Ausgrabungen in Morlaix lediglich die Knochen eines Rindes.
Foto Guillaume Seznec: Public Domain | Wikimedia Commons | CC BY-SA 4.0