Ob Kommissar Dupin diesen Bretagne Krimi hätte knacken können? Mord, Spionageverdacht, Ehebruch, eine Leiche, die nur mithilfe einer Seherin gefunden wurde – der Fall des ermordeten Pulverfabrikanten Louis Cadiou aus dem Jahr 1914 gilt neben der „Affäre Seznec“ als einer der spektakulärsten Kriminalfälle der Bretagne.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befindet sich Frankreich in einem militärischen Wettlauf mit dem Deutschen Reich. Die Geschäfte der Waffenhersteller laufen gut – auch die in der Fabrik Grande Palud nahe Landerneau. In der Finistère hat man sich auf die Produktion von explosiver Baumwolle zur Herstellung von Granaten spezialisiert. Daran ändert sich zunächst auch unter dem ehemaligen Anwalt Louis Cadiou aus Morlaix nichts, der 1909 Fabrikdirektor wird.
Bald kommt es jedoch zum Zerwürfnis zwischen ihm und dem leitenden Ingenieur Louis Pierre. Am Vorabend des 1. Weltkrieges, als das Klima gereizt ist und überall deutsche Spione verdächtigt werden, streicht 1913 die Armee ihre Aufträge.
Louis Cadiou verschwindet
Da verschwindet in der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember plötzlich Louis Cadiou. Schnell verbreitet die Presse Verdächtigungen: er sei an einem Skandal um nicht funktionierende Munition beteiligt gewesen und bei Nacht und Nebel zu seinen Auftraggebern nach Deutschland geflohen. Der „Pulver-Skandal“ („Scandale des poudres“) schlug seinerzeit hohe Wellen. Die Schlachtschiffe „Iéna“ und „Liberté“ waren 1907 bzw. 1912 nach Explosionen gesunken, die die Ermittler der Marine auf schadhaftes Pulver zurückführten.
Mehrere Fabrikarbeiter geben unterdessen zu Protokoll, Inhaber und Chefingenieur am Abend des Verschwindens gemeinsam gesehen zu haben. Endgültig zum Hauptverdächtigen wird Ingenieur Louis Pierre als herauskommt, dass er eine Affäre mit der Frau seines Vorgesetzten unterhielt.
Eine entscheidende Zutat fehlt jedoch zu diesem Kriminalstück: die Leiche. Der Fall erregt überregionale Aufmerksamkeit, auch bei den Behörden. Sonderermittler, unter ihnen eine Einheit, die nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeitet, greifen ein. Das Opfer Louis Cadiou war bereits in Betrugsfälle verwickelt, finden die Detektive heraus, und befeuern damit erneut die Gerüchte, der verschwundene Direktor sei ein deutscher Spion.
Übernatürliche Hilfe
Gefunden wird die Leiche schließlich durch die Unterstützung von gänzlich unerwarteter Seite. Eine Verwandte von Cadiou befragt eine Seherin. Camille Simon aus Nancy beschreibt den Hergang der Tat („2 Mörder schlugen auf ihn ein“) und wo der Leichnam zu finden wäre: „Rechts von der Mühle von Landerneau, nahe beim Wasser, nicht tief unter der Erdoberfläche vergraben.“ Zur Überraschung aller stößt Cadious Schwager Jean an der beschriebenen Stelle auf die Überreste des Gesuchten.
Die Autopsie ergibt zunächst, dass der Fabrikdirektor tatsächlich erschlagen und ihm die Kehle aufgeschlitzt wurde. Durch einen anonymen Brief erfährt der Fall eine weitere Wendung. Der Briefschreiber gibt den Hinweis, dass in der Leiche eine Kugel stecken muss. Und tatsächlich, eine 2. Autopsie fördert aus dem Kiefer des Toten ein 6mm-Projektil zu Tage. Damit nicht genug: eine Waffe dieses Kalibers fanden die Detektive beim Hauptverdächtigen Louis Pierre. Der Ingenieur behauptet weiterhin seine Unschuld, doch alle Beteuerungen sind umsonst. Am 29. Juli 1914 beginnt die Verhandlung gegen ihn. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges rettet Louis Pierre. Er wird eingezogen, bis zur Wiederaufnahme seines Falles 1919 in Quimper verhandelt. Nach einem stürmischen Prozess und unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit wird der Angeklagte aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
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